In diesem Artikel erfährst du einige grundlegende Dinge über geflochtene Seile und wirst diese einzigartige und wunderschöne Handwerkskunst anschließend viel mehr zu schätzen wissen.

 

„Keine Ahnung, was für ein Seil ich habe. Seile sind doch alle gleich, oder?“ Für uns ist ein solcher Satz wie ein Schlag in die Magengrube. Wenn man wie wir tagein, tagaus darüber nachdenkt, wie man Kletterseile sicherer, leichter, nachhaltiger, robuster und erschwinglicher macht und wie man auch nur einige dieser Aspekte durch ständige Überprüfung und Optimierung winziger Details im Fertigungsprozess erreichen könnte, sind Seile eben alles andere als gleich. In dieser Reihe möchten wir euch alles Wissenswerte über den wohl wichtigsten Bestandteil eurer Ausrüstung erzählen. Und am Ende seid ihr vielleicht von dieser Handwerkskunst ebenso begeistert wie wir.

 

Eine Sache vorweg: Seile werden geflochten, nicht gewebt!

Ja, das ist nur eine Kleinigkeit, aber wer auf diesem Gebiet mitreden und sich vor Fachleuten nicht blamieren will, sollte das im Kopf haben. Immer, wenn jemand im Zusammenhang mit Seilen von „weben“ spricht, bekomme ich nervöse Zuckungen. Für Laien*innen mögen die beiden Techniken leicht zu verwechseln sein. Aber auch wenn sie sich in gewisser Weise ähneln, kommen zwei vollkommen unterschiedliche Maschinen zum Einsatz. Wir merken uns also: Flechten ist das regelmäßige Ineinanderschlingen mehrerer Stränge aus biegsamem Material. Der Unterschied zum Weben liegt darin, dass die Fäden nicht im spitzen oder rechten Winkel der Produkthauptrichtung zugeführt werden und es nur ein Fadensystem gibt, während in einem Gewebe mehrere unabhängige Fadensysteme miteinander verkreuzt werden.

Flechten und weben – ein kleiner, aber dennoch deutlicher Unterschied

Unterschiedliche Flechtmaschinen für unterschiedliche Seilmäntel

Im ersten Schritt wird entschieden, auf welcher Maschine ein Seil geflochten werden soll. Heutzutage gibt es eine riesige Auswahl an Flechtmaschinen: Rundflechtmaschinen, Quadratflechtmaschinen sowie 3D-Flechtmaschinen mit kartesisch angeordneten Flechtbetten. Da Dynamik- und Statikseile normalerweise auf Rundflechtmaschinen geflochten werden, konzentrieren wir uns an dieser Stelle auf diese Maschinen. Sie unterscheiden sich in erster Linie durch die Anzahl der Klöppel im Flechtkreis sowie durch die Klöppelgröße.

Rundgeflechte werden grundsätzlich mit zwei Klöppelscharen und somit einer geraden Klöppelanzahl hergestellt. Die Klöppelscharen zirkulieren auf zwei separaten Gangbahnen, die phasenversetzt verlaufen. Eine Klöppelschar bewegt sich immer im Uhrzeigersinn, die andere genau gegenläufig. Das strukturell kleinste Rundgeflecht ist aus vier Fäden herstellbar. Statik- und Dynamikseile werden üblicherweise auf Flechtmaschinen mit 16, 24, 32, 36, 40 und 48 Spulenträgern hergestellt. Je mehr Klöppel, desto feiner der Seilmantel.

Der andere entscheidende Faktor ist die Klöppelgröße. Größere Klöppel können mehr Garn aufnehmen. Demzufolge können entweder längere Seile mit längerem Garn oder dickere Seilmäntel mit dickerem Garn geflochten werden. Maschinen mit großen Klöppeln haben allerdings oft den Nachteil, dass sie langsamer arbeiten und der Durchsatz geringer ist.

Keine dieser Maschinen ist per se besser oder schlechter. Die Wahl der richtigen Maschine hängt immer davon ab, welches Seil zu welchem Zweck geflochten werden soll. Es verhält sich ganz ähnlich wie mit einem Schraubendreher, der je nach Einsatz ebenfalls auf unterschiedliche Schrauben abgestimmt wird.

Eine Flechtmaschine mit 40 Spulenträgern und mittelgroßen Klöppeln und eine Flechtmaschine mit 16 Spulenträgern und großen Klöppeln

Die Garnvorbereitung: gefacht, gezwirnt oder parallel gespult

Kommen wir nun zu den Garnen selbst. Garne können im Wesentlichen auf zwei Arten auf die Klöppel der Flechtmaschine gespult werden – je nachdem, welche Eigenschaften das Seil später aufweisen soll. Entweder werden die Garne gezwirnt oder sie werden parallel aufgespult und nicht miteinander verdreht.

Gezwirntes Garn (Zwirn) kann entweder in sich selbst verdreht sein oder aus mehreren Garnfäden bestehen, sodass ein dickeres Garn entsteht. Seile werden aus solchen dicken Garnen gefertigt, da sie robuster sind als Einfachgarne. Auf diese Weise kann die Oberfläche des Mantels beliebig vergrößert oder der Kern ausreichend dick ummantelt werden. Gezwirnte Garne haben zudem eine höhere Abriebfestigkeit als gefachte Garne. Wenn scharfkantige Elemente mit dem Geflecht in Kontakt kommen, sind die inneren Fasern der verdrehten Garne geschützt. Ein Nachteil gezwirnter Garne besteht darin, dass ihre Festigkeit nachlässt, während die statische Dehnung proportional zur Anzahl der Drehungen pro Meter Garn zunimmt.

Mit gefachten Garnen verhält es sich genau andersherum: Die ideale Ausrichtung aller Garnfilamente sorgt für mehr Festigkeit und weniger statische Dehnung. Aus den oben genannten Gründen ist jedoch die Abriebfestigkeit reduziert.

Schließlich lassen sich Seile auch in einer Kombination aus beiden Methoden herstellen. In dem Fall werden mehrere gezwirnte Garne parallel auf denselben Klöppel gespult. So wird eine Art Kompromiss aus allen oben dargestellten Effekten erzeugt.

Drei verschiedene Seilmäntel aus gezwirntem Garn, gefachtem Garn und parallel gespultem Garn

Flechtmuster: einflechtig oder zweiflechtig

Wenn wir uns für eine Maschine und eine Art der Garnvorbereitung entschieden haben, stellt sich im nächsten Schritt die Frage nach dem Flechtmuster. Wenn du dir deine unterschiedlichen Seile und Schnüre zu Hause anschaust, wirst du zwei verschiedene Flechtmuster erkennen sowie zahlreiche Untervarianten. Im Wesentlichen werden auf Rundflechtmaschinen zwei Flechtmuster erstellt: einflechtige und zweiflechtige Muster.

Der Unterschied besteht darin, wie die in die eine Richtung verlaufenden Garne andere Garne kreuzen. Um das Prinzip besser zu verstehen, folgen wir einem Garn in unserem Seil. In einem einflechtigen Seil liegt eine bestimmte Anzahl von Garnen einer Gangbahn immer abwechselnd über und unter derselben Anzahl von Garnen der gegenüberliegenden Gangbahn (also ein Faden kreuzt einen Faden, zwei Fäden kreuzen zwei Fäden und so weiter). In einem zweiflechtigen Seil hingegen liegt eine bestimmte Anzahl von Garnen einer Gangbahn über und unter mehr Garnen der Gegenrichtung (also ein Faden kreuzt zwei Fäden).

Einflechtig: 1 Faden kreuzt 1 Faden, 2 Fäden kreuzen 2 Fäden | Zweiflechtig: 1 Faden kreuzt 2 Fäden

Durch die Flechtmuster ergeben sich unterschiedliche Eigenschaften. Zweiflechtige Seile haben eine sehr glatte Oberflächenstruktur. Glatte Oberflächen sind theoretisch abriebfester, weil es zwischen dem Seil und einem anderen Gegenstand zu weniger Reibung kommt. Was von außen glatt ist, ist allerdings auch von innen glatt – und eine glatte Innenfläche begünstigt Mantelverschiebungen. Wenn alle anderen Faktoren gleich sind, weisen zweiflechtige Seile in der Praxis eine stärkere Mantelverschiebung auf. Für sehr dicke Garne ist eine zweiflechtige Verarbeitung meist die bessere Wahl, da dickere Garne schon von Natur aus rauere Oberflächen ausgleichen.

Nicht immer ist eine glatte Mantelstruktur wünschenswert. Manchmal brauchen unsere Hände oder bestimmte Vorrichtungen eine griffigere Oberfläche. An dieser Stelle kommen einflechtige Seile ins Spiel. Grundsätzlich verzeihen einflechtige Konstruktionen mehr Fehler und verursachen in der Praxis seltener Probleme wie z. B. Krangeln oder Mantelschädigungen durch Reibungshitze. Dies kommt besonders beim Flechten dünner Garne zum Tragen.

Zur Flechttechnik haben wir nun das Wichtigste geklärt. Kommen wir jetzt zu den Bestandteilen eines Seils.

 

Der Seilmantel

Wenn wir von Innovation sprechen – und zwar nicht im Sinne des heutzutage inflationär gebrauchten Marketing-Schlagworts, sondern im Sinne eines neuen, vorherrschenden Designs oder Prinzips, das ganze Branchen oder Verfahren grundlegend verändert oder vorantreibt – müssen wir ehrlicherweise zugeben, dass es in der Entwicklung von Kletterausrüstung nur wenige echte Innovationen gab. Eine davon war mit Sicherheit das 1953 von EDELRID entwickelte Konzept des Kernmantelseils – eine zweiteilige Konstruktion aus tragendem Seilkern und schützendem Mantel. Diese Erfindung revolutionierte nicht nur das Klettern, sondern setzte auch neue Maßstäbe für Seile im Allgemeinen. Der Kern, als tragendes Element (einst auch als Seele bezeichnet) wurde durch einen Mantel vor Abrieb und UV-Strahlung geschützt, wodurch sich die Sicherheit der Seile deutlich erhöhte. Das neue Prinzip bot zudem viele weitere Konstruktionsmöglichkeiten für Seile.

Über 160 Jahre Seilgeschichte

Der Seilkern

Als Seilkern sind alle möglichen Fasern denkbar. Im Prinzip kann ein beliebiges langes Objekt in eine Flechtmaschine eingeführt und ummantelt werden. Für Dynamik- und Statikseile kommen sogenannte Kerneinlagen, ein einzelnes Kerngeflecht oder mehrere Kerngeflechte oder eine Kombination dieser Elemente zum Einsatz. Für eine Kerneinlage werden Garne in einem mehrstufigen Verfahren miteinander verdreht. Das heißt, bereits verdrehte Grundzwirne werden erneut miteinander verzwirnt. Für ein Kerngeflecht kommen wiederum alle oben genannten Anpassungsmöglichkeiten ins Spiel, um die gewünschten Eigenschaften zu erreichen.

Wie immer sprechen unterschiedliche Gründe für die eine oder andere Variante. Seile mit geflochtenem Kern und vernähter Endverbindung weisen hohe Festigkeitswerte auf. Sie sind deutlich formstabiler und behalten auch nach starker Belastung ihre dreidimensionale Textilstruktur bei. Zudem lassen sie sich gut spleißen. Durch die Kombination aus zwei Flechtprozessen hintereinander ist die Fertigung von Kerngeflechten jedoch deutlich zeitaufwändiger. Kerneinlagen sind unkomplizierter in der Herstellung und insbesondere für Dynamikseile die bevorzugte Konstruktion. Auch wenn eine hohe Zugfestigkeit und/ oder eine möglichst geringe statische Dehnung erreicht werden sollen, ist diese Option die bessere Wahl.

Unterschiedliche Argumente für unterschiedliche Seilkerne

 

Die Feinabstimmung der Seileigenschaften

Neben den oben genannten Grundlagen der Seilkonstruktion bietet jeder Produktionsprozess unzählige weitere Möglichkeiten (auf die wir in diesem Artikel nicht eingegangen sind), welche die finalen Eigenschaften eines Seils bestimmen. Besonders auffällig ist zum Beispiel die sagenumwobene Geschmeidigkeit des Seils. Kletterseilmarken unterscheiden an dieser Stelle etwas präziser zwischen Knickstabilität (Widerstand beim Knicken des Seils) und Druckstabilität (Widerstand beim Drücken auf das Seil). Das Zusammenwirken dieser beiden Eigenschaften ist ausschlaggebend für das Endergebnis. Und natürlich kann auch hier während der Produktion durch bestimmte Einstellungen und Anpassungen Einfluss genommen werden.

Wir könnten eine Ewigkeit weiter fachsimpeln. Alle Einstellungen, Prozessschritte und Konstruktionsmerkmale haben letztendlich aber dasselbe Ziel: die optimale Kombination von Kern und Mantel. Die eigentliche Herausforderung in der Kernmantelseilherstellung besteht darin, zwei meist unverbundene Textilkomponenten, die sich oft in Schrumpf, Dehnung, Material oder Reibung unterscheiden, perfekt aufeinander abzustimmen.

 

Eins plus eins ist niemals zwei

Vor dem Hintergrund dieser Informationen dürfte deutlich geworden sein, dass Flechten kein simpler Prozess ist. Wie so oft im Leben gibt es mehrere Lösungswege für ein und dasselbe Problem. Die hier beschriebenen Techniken und ihre Wirkungen – ob positiv oder negativ – dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Um ein Seil beispielsweise abriebfester zu machen, kann zum einen die Reibung des Mantels reduziert oder aber der Mantelanteil erhöht werden. Diese beiden Lösungen (wobei es durchaus noch mehr gäbe) erfordern unterschiedliche Konstruktionen. Und jede Lösung bringt wiederum Nachteile mit sich. Im Endeffekt kommt es darauf an, aus welchem Verfahren sich die meisten Vorteile für den Verwendungszweck des Seils ergeben. Das eine beste Seil gibt es nicht. Es gibt nur das beste Seil für eine bestimmte Situation.

Geflechte retten nicht nur Leben – wer ganz genau hinsieht, wird feststellen, dass Geflechte selbst ein Eigenleben haben. 

In diesem Abschnitt erfährst du mehr über die technischen Eigenschaften deines Seils, was sie bedeuten und was sich dahinter verbirgt.

„Ich möchte etwas anmerken bzw. ich habe eine Frage: Ich habe das Seil gewogen und das Gewicht durch die genannte Länge geteilt, es kommt jedoch nicht das angegebene Metergewicht heraus!“, „Mein Seil hat die Sturzzahl 8 und ich bin schon siebenmal gefallen. Kann ich mein Seil nach dem nächsten Sturz nicht mehr verwenden?“, „Ich habe den Durchmesser meines Seils mit einem Messschieber nachgemessen und das Seil ist dicker als angegeben.“, „Kann ich mein Seil zum Toprope-Klettern auch im Vorstieg benutzen?“. E-Mails dieser Art erreichen uns alle paar Tage. Sehen wir uns die technischen Daten von Statik- und Dynamikseilen und ihre Bedeutung einmal der Reihe nach an.

 

Wer stellt die Daten bereit?

Das Wichtigste gleich vorweg: Im Gegensatz zu Ausrüstungskomponenten wie Gurten muss die herstellende Firma sich in Bezug auf Seile auf die Ergebnisse der externen Prüfstelle verlassen und kann keine eigenen technischen Daten bereitstellen. In unserem Artikel PSA-Grundlagen erklären wir, dass dynamische und statische Kletterseile als persönliche Schutzausrüstung (PSA) der Risikokategorie 3 gelten. Das Produkt muss daher einer Baumusterprüfung durch eine externe Stelle unterzogen werden. Auch der Fertigungsprozess wird von einer notifizierten Stelle überwacht. In dem Artikel erfährst du auch, dass diese Prüfungen auf bestimmten Normen beruhen, in denen die Prüfverfahren ebenso festgelegt sind wie die Daten, die die herstellende Marke zu dem Produkt mitliefern muss.

 

Welche Daten für welches Seil?

Welche Daten muss die herstellende Firma also für ein Seil bereitstellen? In erster Linie hängt dies von der Art des Seils ab. Statikseile werden nach EN 1891, Dynamikseile nach EN 892 und Reepschnüre nach EN 564 getestet. Die Übersicht zeigt die technischen Daten, die für die einzelnen Seiltypen bereitgestellt werden müssen. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Informationen, die angegeben werden müssen.

 

Technische Daten, die die Herstellende Firma für verschiedene Seiltypen bereitstellen muss

Es ist wichtig zu wissen, dass ähnlich klingende Messgrößen je nach Norm auf unterschiedliche Art und Weise ermittelt werden. In zwei verschiedenen Seilkategorien werden demnach Durchmesser oder Gewicht nicht unbedingt anhand desselben Verfahrens gemessen. Das ist schon ein erster Hinweis darauf, dass man sich auf die Daten der herstellenden Marke verlassen und sie nicht zu Hause am Küchentisch überprüfen sollte. An dieser Stelle möchte ich etwas mehr ins Detail gehen …

 

Seildurchmesser

Eine der offensichtlichsten Spezifikationen eines Seils und vielleicht das wichtigste Merkmal, anhand dessen man unterschiedliche Seile desselben Typs unterscheiden kann, ist der Durchmesser. Er wird jedoch nicht einfach mit einem Messschieber ermittelt. Textilien sind flexibel, dehnen sich unter Belastung und verhalten sich von Charge zu Charge immer ein klein wenig anders. Daher muss für die Messung ein allgemeingültiges Verfahren eingehalten werden, das Zuverlässigkeit und Reproduzierbarkeit des Tests gewährleistet. Zuverlässigkeit bezieht sich darauf, wie konsistent ein Verfahren ein bestimmtes Merkmal misst. Eine hohe Zuverlässigkeit bedeutet beispielsweise, dass dieselbe Person mit demselben Verfahren immer wieder zum selben oder einem sehr ähnlichen Ergebnis kommt. Reproduzierbarkeit bezieht sich darauf, wie konsistent die Ergebnisse eines Testverfahrens sind, wenn es wiederholt ausgeführt wird. Eine hohe Reproduzierbarkeit bedeutet, dass unterschiedliche Personen mit demselben Verfahren zu denselben oder sehr ähnlichen Ergebnissen kommen.

Da Textilien von Natur aus schwer zu messen und zu berechnen sind, werden häufig zusätzliche Vorbehandlungen und Aufbereitungsmethoden festgelegt. Diese sollen eine bessere Vergleichbarkeit erzielen und/oder Schwankungen durch unterschiedliche Umgebungsbedingungen ausschließen. Viele Messungen für Seile folgen demselben Grundprinzip: Das Seil wird für eine gewisse Zeit mit einem bestimmten Gewicht belastet, innerhalb eines definierten Zeitrahmens werden mehrere Messungen an verschiedenen Stellen vorgenommen und der Durchschnitt wird berechnet.

Wir werden nicht für jede in diesem Artikel erläuterte Messgröße ins Detail gehen, aber sehen wir uns einmal die Unterschiede zwischen den drei Normen an. Aus der Abbildung wird deutlich, dass der Seildurchmesser auf ganz unterschiedliche Weisen bestimmt wird. 

Unterschiedliche Verfahren zum Messen derselben Spezifikation – des Durchmessers

Seilgewicht

Für das Gewicht gilt dasselbe Prinzip. Das Gewicht wird in Gramm pro Meter angegeben. Zunächst müssen wir definieren, wie lang ein Meter tatsächlich ist. Wieder wird das Seil je nach Kategorie für eine gewisse Zeit mit einem bestimmten Gewicht belastet. Anschließend wird der Meter abgemessen, abgeschnitten und gewogen.

Kommen wir noch einmal auf diese Kund*innenaussage zurück: „Ich habe das Gewicht meines Seils durch die genannte Länge geteilt, aber es kommt nicht das angegebene Metergewicht heraus!“ Die Tatsache, dass das Seil im Labor unter präzise definierten Bedingungen gewogen wird, ist nicht der einzige Grund dafür, dass du am Küchentisch zu einem anderen Ergebnis kommst. Seilhersteller geben meistens ein paar Meter mehr dazu. Wenn du beispielsweise ein 60 Meter langes Seil von EDELRID kaufst, bekommst du in Wirklichkeit ungefähr 62 Meter Seil. Ein guter Deal für dich, oder? Wir und andere Kletterseilmarken möchten einfach auf der sicheren Seite sein, falls ein*e Anwender*in beim Abseilen die ganzen 60 Meter benötigt. Außerdem soll ein weiteres Schrumpfen des Materials kompensiert werden.

 

Sturzzahl

Um es direkt vorwegzunehmen: Nein, du musst nicht mitzählen, wie oft du schon gestürzt bist und wie viele Stürze das Seil noch aushält. Untersuche dein Seil regelmäßig auf Beschädigungen. Neben der optischen Kontrolle ist es wichtig, das Seil auch durch die Hände laufen zu lassen. Die in den technischen Daten genannte Sturzzahl sollte dich nicht beunruhigen. Diese Stürze werden in äußerst kurzen Zeitabständen unter sehr extremen, für die Praxis untypischen statischen Bedingungen durchgeführt. Zum einen soll dadurch ein komfortabler Sicherheitspuffer gewährleistet werden, zum anderen werden auf diese Weise die verschiedenen Dynamikseile klar voneinander abgegrenzt. Abgesehen davon hat diese Zahl kaum Relevanz für die Praxis.

Ein bestimmtes Gewicht (abhängig von der Art des Seils) wird 4,8 Meter tief fallen gelassen und statisch von einem 2,8 Meter langen Seil aufgefangen. Dieses Szenario führt zu einem hohen Sturzfaktor von etwa 1,7. Zum Vergleich: Die Sturzfaktoren in üblichen Vorstiegssituationen liegen zwischen 0,1 und 0,9.

Interessanterweise müssen auch Statikseile nach EN 1891 eine dynamische Sturzprüfung bestehen. Die Anforderungen sind jedoch deutlich niedriger und die Ergebnisse müssen nicht auf dem Produkt ausgewiesen sein.

 

Führt ein geringerer Fangstoß zu einem sanfteren Fall?

Eine weitere Messgröße, die jede Menge Diskussionsstoff liefert, ist der Fangstoß eines Dynamikseils. Er wird für den ersten dynamischen Sturz gemessen, dem das Seil ausgesetzt wird. Der Fangstoß gibt die Energie an, die benötigt wird, um das Fallgewicht abzufangen. In der Theorie gilt: Je kleiner der Wert, desto sanfter wird der Sturz in der Praxis abgefangen. Aber stimmt das wirklich? Alternativ könnte man argumentieren, dass ein Seil mit höherem Fangstoß in einem realen Sturzszenario die resultierende Kraft direkter auf die sichernde Person übertragen kann, die dadurch automatisch dynamischer sichern würde bzw. könnte. Zu diesem Thema wird es in Kürze eine Untersuchung geben – wir halten dich auf dem Laufenden. Bis dahin würde ich behaupten, dass die meisten Unterschiede in dem Zusammenhang so gering sind, dass sie in einem Blindversuch nicht zuverlässig erkannt werden können.

 

Und wozu das Ganze?

Bleibt die Frage: Was nützen die Spezifikationen, wenn sie mit der Praxis so wenig zu tun haben? Zum einen wählen Anwender*innen anhand von Eigenschaften wie Länge, Gewicht oder Durchmesser das passende Seil für ihr Vorhaben oder ihr Equipment aus. Die meisten anderen Messgrößen dienen zugegebenermaßen hauptsächlich dazu, Seile in die Kategorien Dynamikseil, Statikseil und Reepschnur zu unterteilen und einen komfortablen Sicherheitspuffer zu gewährleisten. Beide Aspekte sind wichtig, aber bisher gibt es immer noch keine zuverlässige Messgröße, die Seile eindeutig einem bestimmten Sicherheitsgrad zuordnet. Man ist sich einig und es gibt eindeutige statistische Belege dafür, dass die mit Abstand häufigste Ursache für das Versagen von Seilen scharfe Kanten sind. Und keine der aufgeführten Eigenschaften lässt zuverlässige Rückschlüsse auf die tatsächliche Schnittfestigkeit von Seilen zu. Aber vielleicht haben wir eine Lösung. Lies dazu unseren Beitrag über die Schnittfestigkeit von Seilen: