In der Absturzsicherung werden Auffangsysteme in unterschiedlichsten Konfigurationen eingesetzt. Eine dieser Varianten stellt die Verwendung eines Verbindungsmittels mit Falldämpfer dar.

Ein vollständiges System besteht aus der Körperhaltevorrichtung, also dem 1. Auffanggurt gemäß EN 361 mit 2. sternaler oder dorsaler Auffangöse, einem 3. Verbindungsmittel nach EN 354 mit integriertem 4. Falldämpfer gemäß EN 355 und 5. Verbindungselementen, Karabinerhaken, nach EN 362 zur Verbindung des Falldämpfers mit dem Gurt und des Verbindungsmittels mit dem 6. Anschlagpunkt nach EN 795.

Wird das Verbindungsmittel vertikal straff gehalten, besteht kein Sturzpotential. Bewegt sich der*die Anwender*in nun nach oben, kann er*sie um die gleiche Strecke, die er*sie sich nach oben bewegt hat, wieder nach unten fallen, bis das Verbindungsmittel gestrafft wird. Diese Strecke nennt man freie Fallhöhe. Freie Fallhöhe, geteilt durch Verbindungsmittellänge wird als Sturzfaktor bezeichnet. Nachdem das Verbindungsmittel fest an einem Anschlagpunkt befestigt ist, kann sich der*die Anwender*in höchstens um die zweifache Verbindungsmittellänge nach oben bewegen, der Sturzfaktor kann also nicht größer als 2 sein.

Stürzt der*die Anwender*in in sein*ihr Verbindungsmittel, löst der Falldämpfer aus und bremst den Sturz mit einer konstanten Bremskraft ab, die laut Norm unter 6 kN liegen muss. Bei einer Person mit 100 Kilogramm Gewicht entspricht dies etwa der sechsfachen Erdbeschleunigung.

Der Bremsweg, den der Falldämpfer benötigt, um den Sturz vollständig abzubremsen, ist von der Fallhöhe und dem Gewicht der Person abhängig. Je schwerer der*die Anwender*in und je größer die Fallhöhe, desto länger wird der Bremsweg.

An der x-Achse ist die freie Fallhöhe in Metern und an der y-Achse der Bremsweg in Zentimetern angegeben. Bei einer Fallhöhe von 1m und einem Fallgewicht von 100 kg wird also beispielsweise ein Bremsweg von rund 40 cm erreicht.

 

Verbindungsmittel mit integriertem Falldämpfer existieren in sogenannten I-Systemen und Y-Systemen. I-Systeme bestehen aus einem Falldämpfer und einem Karabinerast, Y-Systeme aus einem Falldämpfer und zwei Karabinerästen.

Y-Systeme sind grundsätzlich zur Fortbewegung von Anschlagpunkt zu Anschlagpunkt konzipiert. Somit ist eine durchgehende Sicherung gewährleistet und bei einem Sturz arbeitet der Falldämpfer unabhängig von der Position der beiden Äste.

I-Systeme sind für einen stationären Einsatz konzipiert. Eine Fortbewegung ist mit einem I-System nicht möglich. Werden zwei I-Systeme parallel zur Fortbewegung verwendet, kann ein zusätzliches Risiko in Form einer Überlagerung der Fangstöße der beiden Falldämpfer bestehen:

 

Als Beispiel greifen wir auf die oben geschilderte Situation zurück. Eine Person mit 100 kg Gesamtgewicht bewegt sich mit zwei Parallelen I-Systemen von Anschlagpunkt zu Anschlagpunkt fort. Die vertikale Distanz zwischen den Anschlagpunkten beträgt 40 cm. Die Person stürzt nun 1 m. Das I-System, das am oberen Anschlagpunkt befestigt ist, wird zuerst gestrafft und der Falldämpfer beginnt zu wirken. Nach 40 cm Bremsweg ist der Sturz abgebremst. Nachdem sich der Anschlagpunkt des zweiten I-Systems 40 cm tiefer befindet, wird genau in diesem Moment auch das zweite I-System straff. Wäre die freie Fallhöhe nun 1,5 m statt 1 m, würde der Falldämpfer 60 cm Bremsweg benötigen, um den Sturz zu bremsen. Nach 40 cm Bremsweg strafft sich jedoch das zweite I-System und auch dieser Falldämpfer beginnt zu wirken. Die Fangstöße der beiden Systeme addieren sich und an der Person können Kräfte von bis zu 12 kN wirken. Das entspricht bei einer 100-kg-Person der zwölffachen Erdbeschleunigung. Beschleunigungen dieser Größenordnung verursachen in der Regel schwere Verletzungen.

 

Der denkbar ungünstigste Fall tritt ein, wenn zwei Systeme am selben Anschlagpunkt oder auf gleicher Höhe befestigt sind. Im Falle eines Sturzes werden beide Systeme genau gleichzeitig belastet und es tritt auf dem kompletten Bremsweg die doppelte Auffangkraft auf.

Bei diesen Betrachtungen wird davon ausgegangen, dass beide Verbindungsmittel die gleiche Länge haben. Sind die Verbindungsmittel unterschiedlich lang, kann dies, je nach Einhängesituation, die Problematik verstärken oder reduzieren.

Ob bei einer Fortbewegung mit zwei I-Systemen das Risiko einer Fangstoßüberlagerung besteht, ist also von den folgenden Faktoren abhängig:

  • Gewicht der Person

  • Freie Fallhöhe

  • Vertikale Distanz zwischen den Anschlagpunkten bzw. Länge der Verbindungsmittel

 

Je größer die Fallhöhe und das Gewicht der Person, desto größer ist der Bremsweg und desto größer muss also auch die vertikale Distanz zwischen den Anschlagpunkten sein.

Diese Distanz für alle möglichen und am Markt verfügbaren Falldämpfer, Gewichte und Fallhöhen anzugeben ist nicht praktikabel.

 

Eine Fortbewegung mit zwei I-Systemen ist also prinzipiell möglich. Durch die zusätzliche Gefahr der Überlagerung der Fangstöße muss jedoch klar sein, dass diese Variante nur eine Notlösung darstellen kann. Soll ein Verbindungsmittel mit Falldämpfer geplant zur Fortbewegung eingesetzt werden, empfiehlt sich immer die Verwendung eines Y-Systems. Werden zwei I-Systeme parallel verwendet, muss darauf geachtet werden, dass die vertikale Distanz zwischen den Anschlagpunkten so groß wie möglich ist und dass das obere Verbindungsmittel möglichst straff gehalten wird, um die freie Fallhöhe auf ein Minimum zu reduzieren.