Scharfe Objekte und Kanten im Seilverlauf sind eines der Hauptrisiken bei allen Tätigkeiten an Seilen, unabhängig davon ob in der gewerblichen Seilzugangstechnik oder im alpinen Einsatz. Die nationalen Verbände für die Seilzugangstechnik haben eine hierarchische Reihe von Maßnahmen zum Schutz des Seils erarbeitet und veröffentlicht, zum Beispiel hier.

Diese Maßnahmen und Empfehlungen sind unbedingt zu befolgen, um eine Beschädigung des Seils von vornherein auszuschließen.

Es kann in der Praxis jedoch immer wieder zu Situationen kommen, in denen trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ein Seil mit einer kritischen Struktur in Berührung kommt. Solange das Seil statisch belastet und unbewegt ist, stellt dies in der Regel zunächst kein Risiko dar. Insbesondere beim Aufstieg am Seil kommt es jedoch aufgrund der Seildehnung zu Bewegungen des Seils auf der Kante. Durch diese Bewegungen kann das Seil schnell beschädigt werden.

In der vorliegenden Veröffentlichung haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie schnell ein Seil auf einer Kante durch Aufstiegsbewegungen beschädigt werden kann und welche Parameter sich wie stark auswirken.

Die Parameter die wir dabei untersucht haben: 

Aufstiegssystem

Der Aufstieg am Seil wurde einmal durchgeführt mit einer Handsteigklemme mit Fußschlinge und einem Abseilgerät in der ventralen Öse des Gurts. Das auslaufende Zugseil wurde in der Handsteigklemme umgelenkt.

Im zweiten Setup wurde mit einer Handsteigklemme mit Fußschlinge, einer Bruststeigklemme und einer Fußsteigklemme aufgestiegen.

Technik

In einer Testserie wurde sehr dynamisch mit kräftigen Hubbewegungen gearbeitet, in einer zweiten wurde gleichmäßig homogen aufgestiegen.

Abstand zwischen Anschlagpunkt und Kante

Im ersten Setup befanden sich 20 m Seil zwischen Anschlagpunkt und Kante und im zweiten nur 3,5 m.

Seildurchmesser und -Typ

Einige Versuche wurden mit Seilen unterschiedlichen Durchmessers und unterschiedlicher Bauart durchgeführt.

Bei allen Versuchen wurde das Seil mit einer Ablenkung von 30°, also einem Umschlingungswinkel von 150° auf eine 90°-Granitkante platziert und unterhalb der Kante wurde über eine Strecke von 5 m aufgestiegen. Danach wurde der Zustand des Seils an der Kante bewertet.

 

Als Ergebnis der Versuche haben wir die Einflussfaktoren nach Effektstärke sortiert:

1. Technik

Die Art und Weise der Fortbewegung hat in allen Szenarien den deutlich größten Unterschied in Bezug auf den Seilschaden bewirkt. Während die Seile bei einer konstanten, sanften Fortbewegungsmethode nahezu keinen sichtbaren Schaden nahmen, wurde bei der kräftigen, schwungvollen Methode in der Regel noch vor Erreichen der 5 m-Marke der Seilmantel bereits vollständig durchtrennt. Bei einem 9,5 mm Seil wurde das Seil nach 20 m vollständig durchtrennt.

2. Seillänge zwischen Anschlagpunkt und Kante

Je mehr Seil sich zwischen Anschlagpunkt und Kante befindet, desto mehr wirken sich aufgrund der zunehmenden Dehnung auch kleine Bewegungen am Seil aus. Bei 20 m Seil zwischen Anschlagpunkt und Kante wurde bei einer schlechten Technik der Seilmantel bereits nach 3 m vollständig durchtrennt, während bei 3,5 m Seil zwischen Anschlagpunkt und Kante bei schlechter Technik 20 m Aufstieg notwendig waren, um den Seilmantel zu durchtrennen.

 

3. Seildurchmesser und -Typ

Bei 20 m Seil im System und schlechter Technik wurde ein 9,5 mm Seil nach 20 m Aufstieg vollständig durchtrennt. Ein baugleiches Seil mit 11 mm Durchmessern wurde bei der gleichen Strecke stark beschädigt (vollständiger Mantelbruch und Bruch von 25 % des Kerns), aber nicht vollständig durchtrennt. Bei diesen beiden Seilen handelte es sich jeweils um das Enduro Static 9,5 mm bzw. 11 mm, ein halbstatisches Seil gem. EN 1891 mit ungedämpftem PA6-Kern und einem gezwirntem, einflechtigen Polyestermantel.

Das 11 mm Interstatic Protect wurde bei schlechter Technik, 20 m Seil im System und 20 m Aufstiegsstrecke ordentlich aufgeraut, es kam jedoch nicht zum Mantelbruch. Die Konstruktion des Seilmantels hat also einen deutlichen Einfluss auf die Abriebbeständigkeit und Sicherheit. Bei baugleichen Seilen unterschiedlicher Durchmesser bieten dickere Seile größere Sicherheitsreserven. Die Konstruktion des Seilmantels hat einen größeren Einfluss als der Durchmesser.

4. Aufstiegssystem

Die Wahl des Aufstiegssystems hat den geringsten Einfluss auf die Auswirkungen am Seil auf der Kante. Ein sanfter Aufstieg mit dem Abseilgerät hat in den Versuchen nur unwesentlich mehr Abrieb am Seil erzeugt als ein sanfter Aufstieg mit Hand- und Bruststeigklemme.

 

Fazit

Seile sollten auf keinen Fall mit scharfen Objekten oder Kanten in Berührung kommen. Geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der Problematik werden von den Alpin- und Seilzugangstechnikerverbänden ausgebildet und publiziert.

Sollte ein Seil dennoch trotz Kantenkontakt benutzt werden müssen, muss klar sein, dass eine sanfte, konstante Fortbewegung die größten Sicherheitsreserven ermöglicht.