„Bergsport ist Motorsport“ ist eine häufige Aussage über unser Mobilitätsverhalten beim Klettern, denn die meisten erreichen die Felsen mit dem Auto. Um unseren Fußabdruck in Zeiten der Klimakrise zu verringern, müssen wir auch bei unser Freizeitverhalten umdenken und uns zu einer klimafreundlichen Mobilität hinbewegen. Aber welchen Einfluss hat unser Sport überhaupt auf unseren Fußabdruck? Und wie sieht klimafreundliche Mobilität beim Klettern aus? Ein Blick in eine mögliche Zukunft des Klettersports und auf eine neue Begehungsform – den Ecopoint.

Vom Ende der Klimakrise: Das CO2-Budget

Um die Auswirkungen der Klimakrise wie Hitzewellen, Überschwemmungen, Waldbrände und Nahrungsunsicherheiten auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, wurde 2015 im Pariser Klimaabkommen beschlossen, die Erderwärmung bestenfalls auf 1,5 °C zu begrenzen. Um dies zu erreichen, gibt es eine definierte Menge an Emissionen, die noch ausgestoßen werden dürfen – das sogenannte CO2-Budget. Würde dieses Budget gleichmäßig auf alle Menschen aufgeteilt, hätte jede*r von uns einen klimafreundlichen Fußabdruck von ~1,3 Tonnen dieses CO2-Budgets zur Verfügung.

Einfluss eines Kletterprojektes auf den klimafreundlichen Fußabdruck

Wenn wir uns nun den Einfluss eines einzelnen Kletterprojektes auf unseren klimafreundlichen Fußabdruck anschauen, wird schnell klar, dass die An- und Abreise schon einen großen Teil unseres Fußabdrucks ausmachen (siehe Grafik). Da kann uns so ein Durchstieg eines Projekts schon mal bis zu 9 % kosten. Ein großer Anteil, wenn man bedenkt, dass dies nur ein einzelnes Kletterprojekt ist und andere Bereiche wie Mobilität für den Beruf, Ernährung, Wohnen und Konsum noch ausstehen.

Das Konzept Ecopoint

Hier kommt der Ecopoint ins Spiel. Dahinter steckt das Konzept, eine Tour zu klettern, wobei zusätzlich zu dem allgemeinhin bekannten Rotpunkt die Anfahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrrad oder zu Fuß bewältigt wird. Klettern by fair means, bei dem keine (Hilfs-)mittel verwendet werden, die einen starken CO2-Ausstoß verursachen. 

Ecopoint klingt theoretisch nach einer guten Idee – aber lässt sich das auch in der Praxis umsetzen? Als ich vor zwei Jahren weniger mit dem Auto zum Klettern fahren wollte, habe ich mir genau diese Frage gestellt und beschlossen, es herauszufinden.

Aller Anfang ist schwer. Zuerst einmal musste ich Führer wälzen und Zug- und Busfahrpläne recherchieren. Nach und nach habe ich einige Klettergebiete gefunden, die mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen sind – ich habe dabei sogar solche entdeckt, die ich bisher noch nicht kannte. Ein echter Zugewinn. Allerdings ist mir auch schnell klar geworden, dass die meisten Klettergebiete weit weg von Bahnhöfen oder Bushaltestellen liegen. Ein Fahrrad musste her! Gesagt, getan: ein Gravelbike später und um eine Jahreskarte für öffentliche Verkehrsmittel reicher, mache ich mich seitdem regelmäßig mit Zug und Fahrrad in die verschiedenen Klettergebiete rund um meine Wahlheimat Innsbruck auf. Das Fahrradfahren hat neben der erleichterten Mobilität einige Vorteile und ist eine gute Ergänzung zum Klettern. Auch bei nur kurzen Strecken entdeckt man viel mehr von der Umgebung, als wenn man das Auto nimmt. Man nimmt sich insgesamt mehr Zeit und kommt automatisch entschleunigter an.

Zugfahren zum Klettern nach Kufstein, Foto: Johannes Ingrisch

Eines meiner neuen Lieblingsgebiete, das ich erst durch meine Mobilitätsumstellung so richtig entdeckt habe, ist die Geisterschmiedwand bei Kufstein. Ich brauche eine gute Stunde mit dem Zug und noch eine Viertelstunde mit dem Rad vom Bahnhof zum Fels. Die leicht überhängende Wandkletterei in allen Schwierigkeitsgraden mit langen Touren verspricht gute Klettertage und dicke Unterarme. Ein Klassiker ist die Route Kalypso, die sich mit einem maximalkräftigen Boulder an Auflegern, Leisten und einem Einfingerloch, gefolgt von Ausdauerkletterei, ihren Ruf definitiv verdient hat. Eine ideale Tour für einen Ecopoint.

Nach ein paar Tagen in der Route habe ich den Boulder geschafft und konnte nach den letzten anstrengenden Metern den Umlenker clippen. Meine erste 8a als Ecopoint! Ein rundum gelungenes Klettererlebnis, das wir beim Warten auf den Zug mit einer Pizza in der Fußgängerzone von Kufstein ausklingen lassen.

Lena Marie Müller promoviert an der Universität Innsbruck im Bereich Ökologie über die Auswirkungen des Klimawandels. 2020 kletterte sie mit dem Trad-Testpiece „Prinzip Hoffnung“ als erste Deutsche eine Route im Grad E9/E10 und reiste dafür hauptsächlich mit dem Zug an. Den Begriff Ecopoint würde sie gerne gemeinsam mit Sofie Paulus in der Klettergemeinschaft einführen, um in Zeiten der Klimakrise nachhaltige Mobilität im Klettersport weiter zu fördern.

Fazit Ecopoint

Das Klettern mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Fahrrad eröffnet die Möglichkeit, altbekannte und neue Klettergebiete und ihre Umgebung klimafreundlich zu entdecken. Neben der Verringerung des eigenen Fußabdrucks gibt es auch andere positive Nebenwirkungen, denn die Verkehrssituation in den Tälern wird entlastet und die Lärm- und Feinstaubbelastung reduziert.

Der Ecopoint ist somit ein idealer Ansatz für naturverträgliches Klettern. Die An- und Abreise für einen Ecopoint wird in meisten Fällen etwas länger dauern, aber die Zeit im Zug lässt sich auch gut nutzen.

Vielleicht ist das Konzept Ecopoint im Angesicht der Klimakrise eine Frage der Zeit.