Beim Bergsteigen stellt man sich oft die gleichen Fragen. Wie anstrengend ist es? Wie viel Weg liegt noch vor uns? Schaffe ich das? Hält das Material zuverlässig? Besonders mit der letzteren Frage haben wir uns während unserer ersten Kadermaßnahme im malerischen Allgäu intensiv beschäftigt.
Am Montagmorgen versammeln wir uns im EDELRID Headquarter in Isny, wo wir zunächst einen Überblick über die bevorstehenden Tage und die Unternehmensphilosophie von EDELRID erhalten. Zuerst gibt es eine theoretische Einführung, gefolgt von einer praktischen Besichtigung der Produktion, insbesondere der Seilherstellung.
Wahrscheinlich hätten wir alle nicht gedacht, wie viele Schritte notwendig sind, um ein Seil herzustellen. In meinem Kopf stellte ich mir vor, dass eine Maschine wie eine Strickliesel einfach lange Fäden zu Seilen verarbeitet. Doch wir erfahren, dass Seile nicht gestrickt oder gewebt werden, sondern geflochten – auch wenn wir das weiterhin konsequent verwechseln. Zudem wird nicht einfach ein einzelner Faden verwendet. Stattdessen kommen beispielsweise Polyamidfasern in Paaren oder Dreiergruppen zusammen und werden locker zu großen Schläuchen gestrickt (ja, sie werden tatsächlich zuerst gestrickt) und anschließend in einem sogenannten Autoklav (einer Art großem Ofen) geschrumpft. Dadurch können sie sich später unter dynamischen Belastungen besser dehnen und wieder zusammenziehen. O-Ton Daniel: „Wie bei einer Dauerwelle“. Wenn ihr mehr darüber erfahren möchtet, könnt ihr die Details in der Edelrid Knowledge Base nachlesen.
Wir sind begeistert und bleiben bei jedem einzelnen Arbeitsschritt stehen. Wir dürfen alles anfassen, während Daniel uns mit Leidenschaft erklärt, warum sich diese Spule in eine bestimmte Richtung dreht oder weshalb diese Kernfaser eine bestimmte Farbe hat. Wir werfen auch einen Blick in die Hardwareentwicklung und erhalten Einblicke in Bereiche wie die Seilzugangstechnik und die Qualitätssicherung. Wusstet ihr, dass jeder Meter Seil von Hand überprüft wird, um sicherzustellen, dass alles einwandfrei ist? Natürlich waren wir uns bereits vorher bewusst, dass unser Material zuverlässig ist, aber jetzt verstehen wir auch den Grund dafür und können erahnen, welch enormer Aufwand nötig ist, damit jeder Karabiner und jedes Seil die versprochene Leistung erbringt.
Anschließend stärken wir uns bei einem gemeinsamen Mittagessen, bevor es weiter in den sogenannten Spielraum geht. Dort stehen zwei technische Anlagen bereit, mit denen wir einen Reifen und unterschiedlich schwere Sandsäcke kontrolliert zu Boden fallen lassen können. Wir beginnen mit unserem Sicherungstraining. Allerdings nicht wie draußen am Felsen, wo immer ein großzügiger Sicherheitsabstand eingehalten werden muss. Stattdessen stellen wir uns Fragen wie: Hält die Sicherung, wenn ich nach dem Stand in die erste Exe falle und dort nur ein Halbseil geklippt habe? Die Kurzfassung unserer Antwort darauf: eher nicht.
Wir verbessern auch unser Können beim Sichern und testen, mit welchen Methoden man Stürze am weichsten und kürzesten sichern kann. Zudem analysieren wir, wie viel Gewicht bei einem Sturz auf die Umlenkung wirkt. Ab sofort müssen wir uns also nicht mehr fragen, ob unsere Sicherungspartnerin einen Sturz halten kann.
Am Abend empfangen uns Dörte und Daniel in ihrem charmanten Fachwerkhaus, das uns ein wirklich gemütliches Basecamp bietet. Gemeinsam schauen wir Olympia und sorgen beim Kochen für Chaos in der Küche, bevor wir unsere außergewöhnlichen Schlafplätze aufsuchen. Zwei von uns verbringen die Nacht im Portaledge, das aus dem Küchenfenster hängt, während eine von uns in einem Bett schläft, in dem vor wenigen Tagen Tommy Caldwell übernachtet hat! Das motiviert uns am nächsten Tag gleich dazu, noch einen Grad härter zu klettern.