Der Mythbuster „Krangel im Seil“ – Wie entstehen Krangel und wie vermeidet man sie?

Als „Krangel“ werden Drehungen im Seil bezeichnet; Schlaufen, die sich wie von selbst „aufspiralisieren“ wenn das Seil durch die Hände, den Karabiner oder ein Sicherungsgerät gezogen wird. Krangel reduzieren die Festigkeit von Seilen nicht, stören aber massiv bei der Bedienung des Seils. Es sind aber auch Unfallmechanismen bekannt, die durch Krangel verursacht werden: Beim Ablassen wird mit einer Hand der Mechanismus des Sicherungsgeräts bedient und das Kletterseil läuft durch die zweite Hand, die Bremshand. Läuft bei zügigem Ablassen unbemerkt ein stabiler Krangel in die Bremshand, drückt dieser die Finger der Hand auf, es kommt zum Bremsseilverlust und im Schreckmoment kann der Kontraktionsreflex ein Überreißen des Sicherungsgeräts verursachen. Krangel sind also nicht nur nervig, sondern können sogar gefährlich sein. Deshalb ist es wichtig, Krangel im Seil zu vermeiden. Wie aber entstehen Krangel und wie können sie vermieden werden?

Entgegen weit verbreiteter Meinungen krangeln Seile nicht von sich aus. Nach der Herstellung sind Kletterseile zunächst immer neutral, glatt und ohne Drehung. Häufig wird der erste Fehler, der Krangel im Seil verursacht, direkt beim Auspacken und der ersten Nutzung des Seiles gemacht.

Krangelursache 1 –  Auspacken/Inbetriebnahme des Seils:

Klassisch werden Seile nach der Herstellung gehaspelt, das bedeutet, die Seile werden aufgewickelt und als Puppe verpackt. Werden solche gehaspelten Seilpuppen geöffnet und das Seil wird einfach aus der Puppe gezogen, entsteht für jede Wicklungsdrehung, die beim Haspeln ins Seil eingetragen wurde, eine Drehung in Längsrichtung des Seils und das Seil ist schon nach dem Auspacken das erste Mal maximal verkrangelt. Klassisch gehaspelte Seilpuppen müssen also nach dem Öffnen der Verpackung genauso abgewickelt werden, wie sie aufgewickelt wurden. Mit etwas Übung und Sorgfalt geht dies am besten, indem das Seil über die Unterarme gelegt und abgewickelt wird. Wenn man zu zweit ist, können auch zwei Besenstiele oder glatte Äste in die Seilpuppe gesteckt werden, über die das Seil dann abgewickelt wird.

Immer mehr herstellende Unternehmen liefern ihre Seile gebrauchsfertig verpackt, also „ready to climb“ aus. Derart verpackte Seile können einfach auf den Seilsack gelegt und ausgepackt werden und es kann direkt krangelfrei losgeklettert werden. Sie sollten auf keinen Fall wie klassisch gehaspelte Seile abgewickelt werden, da sonst der umgekehrte Effekt entsteht und Krangel ins Seil eingebracht werden. In der Regel findet sich auf „ready to climb“-Seilen aber auf der Verpackung ein entsprechender Hinweis.

Krangelursache 2 – Umlenken des Seiles:

Wird das Seil durch Topropeumlenkungen oder Sicherungsketten gezogen, können auch hierbei Krangel entstehen. Solange sich die Karabiner oder Umlenkungen, durch die das Seil gezogen wird, drehen können, entstehen in der Regel keine Krangel. Die Achsen der Karabiner richten sich dann lotrecht zur Seilmittelachse aus. Wird ein Seil aber über eine oder mehrere Umlenkung gezogen, deren Achsen nicht lotrecht zur Mittelachse des Seils angeordnet sind, und die sich auch nicht ausrichten können, kommt es auf den Außenseiten des Seil zu unterschiedlichen Reibungseinflüssen, die das Seil kompensiert, indem es sich aufdreht. Krangel, die im belasteten Zustand ins Seil eingebracht werden, sind deutlich schlimmer als die, die im unbelasteten Zustand, beispielsweise beim Auspacken entstehen. Die Last auf dem Seil kann dazu führen, dass sich Kern und Mantel des Seils gegeneinander verdrehen, wodurch die Krangel dann tatsächlich fest im Seil stecken und nur schwer wieder entfernt werden können. Krangel an Seilumlenkungen können vermieden werden, indem man darauf achtet, dass die Achsen der Umlenkungen entweder senkrecht zur Seilmittelachse stehen oder die Umlenkungen möglichst viel Spiel haben und sich ausrichten können. Auch Seilkreuzungen an Topropeumlenkungen sollten vermieden werden.

 

Krangelursache 3 – Bedienung von Sicherungsgeräten:

Ein ähnlicher Effekt tritt auf, wenn das Seil durch ein Sicherungsgerät gezogen wird, unabhängig davon ob belastet (Ablassen oder Abseilen) oder unbelastet (Sichern). Auch hier wird das Seil über verschiedene Radien und Kanten umgelenkt und an den Seilseiten können unterschiedliche Reibungssituationen auftreten, die das Seil in Form von Drehungen kompensiert. Typisch und gut zu beobachten ist dieser Effekt bei klassischen Methoden wie der Sicherung mit Halbmastwurf (HMS) oder dem Abseilachter. Aber auch Tubes und moderne Halbautomaten oder Autotubes können, manchmal auch in Abhängigkeit von der verwendeten Karabinergeometrie, Kletterseile verkrangeln.

 

Krangelursache 4 – Aufnehmen des Seils/ Seilverstauung:

Wird ein Seil nach dem Klettern als Ring zur Puppe aufgenommen, entsteht ein ähnlicher Effekt wie beim Wickeln/Haspeln: mit jeder Schlaufe, die aufgenommen wird, wird Drehung ins Seil eingebracht. Bewährt hat sich daher die Lap-Coil-Methode, bei der das Seil wechselseitig in links- und rechtsgedrehten Schlaufen aufgenommen wird. Dadurch heben sich die Links- und Rechtsdrehungen auf und das Seil bleibt in Summe neutral. Die optimale Lösung stellt jedoch immer ein Seilsack dar, da das Seil hier nicht nur drehungsfrei und spannungsarm ruhen kann, sondern gleichzeitig noch vor Umwelteinflüssen wie Schmutz oder UV-Licht geschützt wird.

 

Warum krangeln manche Seile mehr als andere?

Zunächst ist diese Frage falsch gestellt – Seile krangeln von sich aus nicht. Aber es gibt Seile, die mehr dazu in der Lage sind, Drehungen zu „schlucken“, als andere. Die Ursache dafür ist die Mantelgarnspannung, die sich wiederum in der Steifigkeit des Seils auswirkt. Seile mit geringerer Mantelgarnspannung, also weichere Seile, können Drehungen besser aufnehmen. Allerdings bewirkt dies dann häufig auch eine Verdrehung des Kerns innerhalb des Mantels. Steifere Seile mit höherer Mantelgarnspannung sind in der Regel schnittfester und abriebbeständiger, können aber Drehungen deutlich schlechter aufnehmen.