Bei der Lagerung, dem Transport und der Nutzung kann persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSA) mit chemischen Substanzen in Kontakt kommen. Ein Beispiel ist der Transport im Auto, wo die Ausrüstung mit Motoröl, Zusatzbatterien oder AdBlue in Berührung kommen kann. Bei dem Einsatz im Industrieklettern ist auch der Kontakt mit chemischen Substanzen während der Nutzung, beispielsweise bei der Reinigung von speziellen Anlagen oder beim Baumklettern, bei der Handhabung mit motorgetriebenen Hilfsmitteln ein Thema. Dabei sind besonders Kunststoffe von Schädigung betroffen, sie sind weit anfälliger als Metalle gegenüber chemischen Einflüssen. Wir wollen der Frage nachgehen, wie Chemikalien auf textile PSA wirken und welche Substanzen als besonders kritisch zu werten sind.

 


AUS AKTUELLEM ANLASS: Eine der vielen Folgen der Corona-Epidemie ist die vermehrte Nutzung von Desinfektionsmitteln. Im Verleihbereich von Kletterhallen, aber auch im Privaten stellt sich für viele Kletterer und Kletterinnen die Frage, ob und wie sich solche Mittel auf ihre Seile, Schlingen, kurzgefasst ihre PSA auswirken. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass sich beispielsweise Sagrotan nicht festigkeitsreduzierend auf Polyamid auswirkt. Vor allem starke Säuren und Basen führen zu Eigenschaftsveränderungen bei Kunststoffen. Die Zusammenhänge beim Einfluss von chemischen Substanzen auf textile PSA sind allerdings komplex und nicht einfach einzuschätzen. Näheres erfährst du hier im Artikel.


 

CHEMISCHE SCHÄDIGUNG VON TEXTILER PSA

Hintergrund

Grundsätzlich gibt es zwei unterschiedliche Wirkungen von Chemikalien auf Textilen:

  • Physikalische Wirkung: Reagiert ein Medium nicht chemisch mit dem Kunststoff, kann es jedoch zu einer physikalischen Änderung seiner Eigenschaften führen. Dies kann sich z. B. in einer Veränderung der Oberflächenbeschaffenheit und damit der Reibungswerte, einer Versteifung des Textils oder einer Quellung des kontaminierten Bereiches äußern. Die Veränderungen, welche durch eine physikalische Wirkung des Mediums entstehen, sind reversibel und können durch ein Auswaschen der Chemikalie zumeist rückgängig gemacht werden.
     
  • Chemische Wirkung: Hierbei reagiert die Chemikalie mit dem Kunststoff und bewirkt eine Abbaureaktion oder eine Veränderung der molekularen Struktur. Man kann es sich so vorstellen, dass die Moleküle der Chemikalie zwischen die einzelnen Kettenglieder des Kunststoffes diffundieren und die dort vorhandenen Bindungen aufweichen oder zersetzen. Bei einer chemischen Wirkung zwischen Kunststoff und Medium können schon geringfügige Mengen zu ausgeprägten Änderungen der mechanischen Eigenschaften führen.

 

Für textile PSA kommen vor allem drei Materialien zum Einsatz: Polyamid (PA), Polyester, genauer gesagt Polyethylenterephthalat (PET) und ultrahochmolekulares Polyethylen (UHMWPE), auch unter dem Handelsnamen Dyneema® bekannt. Substanzen, welche eine Eigenschaftsveränderung von Kunststoffen herbeiführen, kann man in Säuren, Basen, Lösungsmittel, Salze und Oxidationsmittel unterteilen. Durch die Ermittlung des pH-Wertes der Chemikalie kann eine erste grobe Einschätzung über eine mögliche Schädigung erlangt werden. Als neutral gilt eine Substanz mit einem pH-Wert von 7, welcher dem von Wasser entspricht. Je geringer der pH-Wert ist, desto saurer ist die Substanz. Je höher der pH-Wert ist, desto basischer ist die Substanz. In Tabelle 1 zeigen die pH-Grenzwerte, ab welchem Bereich eine Säure oder Base für den Kunststoff gefährdend wirken kann.

In der Tabelle lässt sich erkennen, dass starke Säuren und Basen, insbesondere auf Polyamid, eine schädigende Wirkung haben.

Es gibt allgemein viele Informationen zur Beständigkeit von gewissen Kunststoffen gegen spezielle Chemikalien. Unser Anreiz, eigene Testreihen durchzuführen, besteht darin, die Beständigkeit von textiler PSA gegen Gebrauchsmittel in einem für die PSA geeigneten Testverfahren darzustellen. Der Test auf Gebrauchsmittel ist insofern von großer Bedeutung, da die Wirkung von gemischten Substanzen nicht gut erforscht ist.

Methode: Wie haben wir getestet?

Kontamination ist nicht gleich Kontamination. Der Einfluss von Chemikalien auf textile PSA ist von vielen Faktoren abhängig. Zum einen hängt die Anfälligkeit gegenüber chemischen Substanzen von der Materialzusammensetzung und der Konstruktion des Textils ab. Zum anderen wird die Wirkung der Chemikalie durch die äußeren Bedingungen wie die Art der Kontamination, die Temperatur oder die Expositionszeit beeinflusst. Wir haben für unseren Test ein Worst-Case-Szenario definiert, mit welchem die Wirkung auf unsere Bandmaterialien untersucht wird. Im Folgenden werden die genauen Testparameter vorgestellt:

  • Kontaminationsart: In der Praxis gibt es viele Arten, wie die Chemikalie in Kontakt mit PSA kommen kann. Von der Benetzung durch Dampf bis hin zum Tränken des Materials in der Substanz kann alles geschehen und dementsprechend unterscheidet sich auch die Intensität der Kontamination. Wir haben uns für ein Tauchbad entschieden, um eine Diffusion der Chemikalie in die inneren textilen Strukturen zu gewährleisten.
     
  • Expositions- und Einwirkzeit: Die Expositionszeit beschreibt die Zeit, in welcher das Textil in direktem Kontakt mit der Chemikalie steht. Wir haben eine Dauer von 24 Stunden festgelegt. Die Einwirkzeit bestimmt, wie lange die Chemikalie nach der direkten Kontamination Zeit hat, zu trocknen und mit dem Material zu reagieren. Hier wurde ein Zeitraum von mindestens 72 Stunden in der Klimakammer angelegt.
     
  • Kontaminations- und Trockentemperatur: Die Temperatur ist ausschlaggebend für die Reaktivität vieler Chemikalien, da durch eine erhöhte Temperatur die molekularen Strukturen beweglicher sind. Hierdurch wird die Diffusionsfähigkeit der Chemikalie in das Material maßgeblich beeinflusst, weswegen die chemische Beständigkeit der Kunststoffe nur für den angegebenen Temperaturbereich gelten. Wir haben uns für eine Kontamination und Trocknung bei Raumtemperatur, also 23 +- 2 °C und einer Luftfeuchtigkeit von 50 % entschieden, was einer Konditionierung nach Norm entspricht.

 

Die Ergebnisse der Kontaminationsversuche

Die Ergebnistabelle bezieht sich auf die chemische Beständigkeit von textilen Materialien gegenüber unterschiedlichen Substanzen bei Raumtemperatur. Je nach Festigkeitsverlust wird die Gefährlichkeit des Stoffes in drei Kategorien unterteilt:
 

  • Grün - beständig: Das Textil behält seine mechanischen und physikalischen Eigenschaften über einen längeren Zeitraum bei bzw. liegt der Festigkeitsverlust des Materials im akzeptablen Bereich.
     
  • Orange - bedingt beständig: Das Textil behält seine mechanischen und physikalischen Eigenschaften über einen längeren Zeitraum bei, bzw. der Festigkeitsverlust des Materials liegt im akzeptablen Bereich.
     
  • Rot - unbeständig: Das Textil verliert seine mechanischen und physikalischen Eigenschaften nach kurzer Zeit. Es liegt ein starker Angriff vor, welcher zur vollständigen Zerstörung des Textils bei sehr geringen Zugfestigkeiten führt.

Wir sind bemüht, die Tabelle schrittweise zu erweitern, um einen Überblick über Stoffe und deren chemische Wirkung auf textile PSA aufzuzeigen. Allerdings ist Vorsicht bei dem Einordnen der Auswirkung von Substanzen geboten:

  • Auch der physikalische Einfluss von Chemikalien kann großen Einfluss auf deren Haltbarkeit haben, wie bei einer Kontamination einer Kern-Mantel-Konstruktion. Es kann durch das Eindringen der Chemikalie ins Mantelgeflecht, jedoch nicht ins Kerngeflecht, eine Versteifung des Mantels erfolgen. Diese Versteifung kann zu einer Verschiebung des Mantels gegenüber dem Kern bei einer mechanischen Belastung oder zu einem frühzeitigen Bruch des Mantels beim Sturz über eine Kante führen.
     
  • Dyneema® Schlingen bestehen zu einem gewissen Teil aus Polyamid, wodurch ein Versagen des Textilverbundes erfolgen kann, ohne dass das Dyneema® angegriffen wurde. Hierbei werden die Dyneema® Fäden aus dem Verbund gerissen und können so nicht mehr ihre maximale Zugfestigkeit entfalten. Deshalb ist auch bei einer Kontamination mit einer für UHMWPE ungefährlichen Chemikalie Vorsicht geboten, und die PSA sollte vorsichtshalber ausgesondert werden.

 

Fazit

Die Zusammenhänge beim Einfluss von chemischen Substanzen auf PSA sind komplex und nicht einfach einzuschätzen. Deshalb ist generell der Kontakt von PSA mit chemischen Substanzen zu vermeiden.

Auch wenn manche Chemikalien nur für gewisse Werkstoffe gefährlich sind, sollte bei einer Kontamination mit starken Säuren und Basen, z. B. Salzsäure, Griffwaschmittel oder Rohrreiniger, die PSA ausgesondert werden – unabhängig davon, um welches Material es sich handelt.

Zudem ist diese Liste nur beispielhaft und bei der Einordnung von anderen Substanzen ist zu berücksichtigen, dass bei gemischten Substanzen die Inhaltsstoffe und deren Konzentrationen nicht immer klar nachvollziehbar sind.

 

Literaturverzeichnis

Koller, S.: Säureeinfluss auf Textilmaterial im Bergsport und deren Nachweisbarkeit. Bachelorarbeit.
Polytron - Kunststofftechnik GmbH & Co. KG (2011): Chemikalienbeständigkeit. Online verfügbar >