Vom Sportklettern zur Big Wall

Ein schleichender Prozess
Mein Weg zur ersten Big Wall-Erfahrung war eine allmähliche Entwicklung. Nach Jahren des Sportkletterns, in denen ich viele meiner Ziele erreichte, begann ich, nach neuen Herausforderungen zu suchen. Meine Erfahrungen im Mehrseillängenklettern in Sardinien, insbesondere die Begehung von „Hotel Supramonte“ (8b), verstärkten meinen Wunsch nach größeren Abenteuern. Da ich bereits Erfahrung im Trad-Klettern hatte, wuchs in mir der Wunsch, eines Tages am El Capitan zu klettern. Als sich die Gelegenheit ergab, mich Soline anzuschließen, die bereits Erfahrung am El Cap gesammelt hatte, war die Entscheidung schnell getroffen. Sie hatte zuvor Golden Gate durchstiegen und suchte eine Seilpartnerin für die Route Pre Muir (5.13c/8a+; 33 Seillängen). Mein Ziel war weniger, eine bestimmte Route zu durchsteigen, sondern das Erlebnis einer Big-Wall-Expedition mit einer erfahrenen Partnerin zu teilen, zu lernen und die Herausforderung, eine Route am El Cap freizuklettern.

Vorbereitung: Die ersten zwei Wochen
Um uns mit der Route vertraut zu machen, verbrachten wir die ersten Tage damit, die unteren Längen von Pre Muir, auch „Muir Blast“ genannt, auszuchecken. Am Anfang kletterte hauptsächlich Soline im Vorstieg, während ich mich auf die Rissklettertechnik konzentrierte. Besonders das Vertrauen in Reibungskletterei auf Granit erforderte Eingewöhnung. Schon in den ersten Tagen konnte ich viel von Soline lernen, insbesondere beim Seilmanagement und Haulen. Mit jedem Tag fühlte ich mich etwas sicherer. Nach zwei Wochen eröffnete sich ein gutes Wetterfenster – die Gelegenheit für unseren Versuch. Ob ich bereit war? Keine Ahnung. Irgendwie fühlte sich das Ganze noch eine Nummer zu groß an. Aber am Ende zählt nur eines: Man wächst mit der Herausforderung.

Die ersten Tage am El Cap (Seillänge 1-15)

Einen Tag bevor wir loslegten, haulten wir bereits einen Teil unseres Materials – Portaledge, Essen, Schlafsachen etc. – über die Fixseile bis zur Mammoth Ledge hinauf (11. Seillänge), unserem Etappenziel für den ersten Tag.

Am ersten Klettertag (25. Februar) meisterten wir tatsächlich elf Seillängen. Der Einstieg war zäh – die ersten Meter waren nass, was das Klettern deutlich anspruchsvoller machte. Aber wir hielten durch. Zum Glück war die 8a-Traverse, die wir vorher schon ausgecheckt hatten, trocken – und überraschenderweise weniger ein Kampf als die vermeintlich „leichteren“, aber nassen Längen zuvor. Erschöpft, aber stolz, erreichten wir schließlich Mammoth Terrace, wo wir unsere erste Nacht in der Wand verbrachten.

Der Schlaf im Portaledge war zwar alles andere als erholsam, aber es war trotzdem eine besondere Erfahrung, morgens aufzuwachen und zu realisieren: Wir hängen mitten in einer Big Wall.

Am zweiten Tag (26. Februar) standen die Seillängen 12 bis 16 auf dem Plan – und wir blieben sturzfrei! Die 7b+-Länge war durch die Nässe eine echte Herausforderung, aber wir wurden tatsächlich besser darin, nasse Risse zu klettern – haha. Die 7c-Stemmlänge war einer meiner Lieblingslängen – viel Spreizen im Spagat, genau mein Ding. Der darauffolgende Kamin fühlte sich ebenfalls besser an als erwartet. Besonders cool: Ich konnte eine neue Offwidth-Technik ausprobieren. Auch wenn’s nicht gerade angenehm war – es hat funktioniert. Trotz der Erschöpfung fühlte ich mich stark – und mit jedem Meter wurde ich ein bisschen selbstsicherer.

Tag 3: Silver Fish (Seillänge 15) – Ein emotionaler Kampf
Die Silver Fish-Seillänge (8a+) war die größte Herausforderung – nicht nur wegen der ohnehin anspruchsvollen Kletterei, sondern auch, weil der obere, schwere Teil der Route immer noch nass war. Soline und ich hatten die Länge in unserer Vorbereitung einmal ausgecheckt und wussten grob, was auf uns zukam. Doch das machte es nicht unbedingt leichter.

Mein erster Versuch endete in einem heftigen Sturz – vermutlich gut zehn Meter. Im leichteren Mittelteil hatte ich mit den Sicherungen gespart, da ich kurz darauf einen No-Hand-Rest erreichen würde. Doch dann rutschte mein Fuß beim Piazen weg. Die linke Wand war so plattig, dass ich mit den Füßen zuerst aufkam, was mich kopfüber in den Gurt schleuderte und hart mit dem Rücken gegen die Wand prallen ließ. Für ein paar Sekunden bekam ich kaum Luft – ein Moment purer Panik. Game Over? Ich hatte Angst, mir ernsthaft etwas am Rücken getan zu haben. Doch nachdem ich mich beruhigt hatte, spürte ich, dass es weiterging. Ich wollte auf keinen Fall, dass dieser Sturz mich mental aus dem Gleichgewicht brachte.

Soline stieg die Seillänge durch, und es war unglaublich inspirierend, ihr dabei zuzusehen. Ich freute mich riesig für sie – doch gleichzeitig setzte es mich unter Druck. Ich wollte nicht diejenige sein, die uns aufhielt. Es kann herausfordernd sein, wenn eine Person durchkommt, während die andere kämpft – umso wichtiger sind offene Gespräche über Erwartungen und mögliche Szenarien im Vorfeld.

Ich war angespannt bei meinem zweiten Versuch, immer noch belastet vom Sturz, aber diesmal legte ich deutlich mehr Sicherungen. Trotzdem – kurz vor dem Umlenker, beim letzten schweren Zug, flog ich wieder raus. So knapp vor dem Durchstieg! Ich konnte es nicht fassen. Der Frust war riesig. Ich fühlte mich völlig ausgepowert und dachte kurz, das war’s für heute. Aber aufgeben kam nicht in Frage. Ich wollte es später noch einmal versuchen.

Also griff ich zum bewährten Rezept gegen Erschöpfung: eine massive Portion Junk Food. Chips, Brownies, Gummibärchen – alles, was wir hatten. Danach fühlte ich mich tatsächlich etwas besser.

Beim dritten Versuch kämpfte ich mich durch. Mein Körper war müde, meine Beine zitterten, aber ich zwang mich, konzentriert zu bleiben. Den unteren Teil schaffte ich irgendwie. Und weil ich den oberen Abschnitt nun besser kannte, mobilisierte ich meine letzten Kräfte – und erreichte den Umlenker! Ich konnte es selbst kaum glauben. Ein harter, aber unglaublich lehrreicher Tag. Eine Lektion in Geduld, mentaler Stärke und Durchhaltevermögen. Wieder einmal wurde mir bewusst, dass Big-Wall-Klettern nicht nur körperlich, sondern vor allem psychisch eine enorme Herausforderung ist.

Tag 4 & 5: Erschöpfung setzt ein
Tag 4 (Seillängen 16–23) war lang und intensiv. Die 7c+ Platten-Traverse stellte sich als besonders tricky heraus – extrem morpho! Zum Glück fand Soline eine neue Beta, die uns beiden half. Manchmal ist es echt von Vorteil, wenn man die gleiche Größe hat. In der 23. Seillänge spürten wir die Erschöpfung immer stärker. Jeder Zug kostete mehr Kraft, und die mentale Müdigkeit machte sich bemerkbar. Es war höchste Zeit das Portaledge aufzubauen und uns schlafen zu legen.

Tag 5
Wir wiederholten die 23. Seillänge, die wir zuvor ausgecheckt hatten, und kletterten weiter bis zur Verschneidung – eine der Schlüssellänge (8a+: SL 24). Dort konnten wir sie beide einmal testen. Extrem hart und kräftezehrend – reine Stemmkletterei.
Die Kombination aus langen Klettertagen, wenig Schlaf und dem ständigen Haulen des Materials hinterließ ihre Spuren – körperlich und mental.Ich war völlig erschöpft, und es war höchste Zeit für einen Ruhetag. Zum Glück war ohnehin Schnee angesagt – die perfekte Gelegenheit, um neue Energie zu tanken.

Tag 6: Pause!
Die Nacht war eisig, und der Schneesturm wurde deutlich stärker als erwartet. Trotzdem hofften wir noch auf zwei gute Klettertage, bevor das große Regenfenster einsetzte.

Tag 7: Wetterumschwung und Abbruch
Noch vor der Schlüssellänge der Verschneidung wurde uns klar, dass das Wetter uns endgültig aus der Wand drängte. Immer mehr Eisklumpen vielen oben herab und machte mir bewusst, wie wenig Erfahrung ich mit Bedingungen in den Bergen hatte. Die Kälte war brutal – unsere Finger und Zehen wurden taub. Wir hatten die Zeichen des Wetters unterschätzt und mussten eine Entscheidung treffen.

Seb, der uns in den letzten Tagen mit der Kamera begleitet hatte, seilte sich an den Fixseilen ab, und warnte uns, dass die oberen Seillängen komplett nass seien, viel Schnee am Summit lag und es wahrscheinlich am sinnvollsten wäre, aus der Wand zu kommen.

Ich war frustriert, dass ich die Zeichen ignoriert hatte – aber ich lernte eine wertvolle Lektion: Die Natur hat das letzte Wort. Aufzugeben war nicht leicht, aber es war die einzig sinnvolle Entscheidung. Der Rückzug aus der Wand war eine Herausforderung für sich: Wir mussten an teilweise vereisten Statikseilen hochjümaren und anschließend die East Ledges, die komplett verschneit und vereist waren, wieder hinunterlaufen. Es war kein leichter Abstieg und die Erleichterung war riesig, als wir endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatten.

Rückblick

Fünf intensive Klettertage, in denen wir alles gegeben haben – bis das Wetter uns am siebten Tag stoppte. Auch wenn wir die Route nicht bis zum Ende durchsteigen konnten, war es eine der aufregendsten Erfahrungen. Soline und ich waren ein großartiges Team. Wir haben die meisten Seillängen direkt nacheinander durchgestiegen und obwohl Soline im Yosemite-Stil eindeutig die stärkere Kletterin war, konnte ich dank meiner Sportkletterfähigkeiten gut mithalten.

Mit Soline hatte ich die bestmögliche Kletterpartnerin an meiner Seite. Wir haben gelacht, uns gegenseitig motiviert und unterstützt. Wahrscheinlich das Wichtigste, was ich mitnehme: Am Ende zählt nicht der Durchstieg, sondern die Erinnerungen, die bleiben. Ich bin stolz auf die Momente, in denen ich mich durchgebissen habe und auf die wertvollen Lektionen, die ich mitnehme. Mein Wunsch, am El Cap zu klettern, ist wahr geworden – und dafür bin ich unendlich dankbar. Diese erste Big Wall Erfahrug bleibt für immer unvergesslich und ich freue mich schon auf mehr von diesen Abenteuern in der Zukunft!