„Pequeño, pequeño,” staunt Ana über die kleinen Löcher im grauen Kalkstein und checkt die Haut an ihren Fingerspitzen. Bis vor ein paar Tagen hatte die 21-jährige Spanierin noch gedacht, dass sie den kompletten Sommer in der Halle in Madrid trainieren würde. Jetzt wird sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht von ihrem Freund Simon mitten im Krottenseer Forst abgelassen und freut sich, dass sie sich auf seinen spontanen Einfall eingelassen hat. Denn der kräftige Style und die fränkischen Löcher sind ganz nach ihrem Geschmack. Es ist das erste Mal, dass sie außerhalb Spaniens am Fels klettert!

Ana Belén Argudo Marugan und Simon Padin leben in ihrem 20 Jahre alten, petrolfarbigen VW-Bus und – sie leben fürs Klettern. Beide starteten über viele Jahre bei Jugendwettkämpfen auf internationaler Ebene. Vor zwei Jahren, unter anderem wegen der Pandemie, haben sie sich dazu entschieden, sich ausschließlich aufs Felsklettern zu konzentrieren. Simon besuchte im frühen Sommer das EDELRID Hauptquartier, um an einem Shooting für die kommende Saison teilzunehmen. Das wollte er gleich noch mit einem Tag Routesetting in der Boulderhalle E9 in Nürnberg verbinden. Warum also nicht einen Trip in die Geburtsstätte des Rotpunktkletterns machen?

Simon kommt ursprünglich aus Argentinien und lebt seit vielen Jahren in Spanien. Schon als Jugendlicher war ihm Frankenjura ein Begriff. Denn die ersten Klettervideos, die er je gesehen hat, waren seine Idole, die die Schwerkraft an den harten Frankenrouten zu überwinden versuchten. Damals war es für ihn unvorstellbar, dieses Klettergebiet einmal selbst zu besuchen oder gar in diesem Schwierigkeitsgrad zu klettern. „Für uns ist es etwas ganz Besonderes, hier zu reisen und einige Klassiker in diesen unzähligen Klettergebieten zu machen. Gerade weil hier so viel Geschichte geschrieben wurde“, erzählt er nach ein paar Tagen Frankentour. Auch Ana ist begeistert und weint ihrem Hallentraining in keiner Weise mehr nach. „Ich liebe das Frankenjura. Die Natur ist schön, so viele Felder, Wiesen, Blumen und kleine Dörfer, nicht zu vergessen diese traditionellen Gasthäuser mit den nicht grad kleinen Portionen und riesigen Kuchenstücken“, lacht sie und erzählt weiter: „Und, was uns besonders gefällt, ist der Wald. Wir fühlen uns so wohl hier!“

Im Zentrum des Trips steht für die beiden ganz klar das Klettern: kräftig, löchrig, überhängend. „Der Fels ist ein wenig wie in unseren Heimatgebieten Cuenca oder Margalef, aber nicht so scharf und daher etwas schonender für die Haut“, findet Ana. In Cuenca kletterte sie im Jahr 2022 mit Cordia Maleficarum ihre erst 9a und holte sich damit nach Alex Garriga die 2. Begehung der von Dani Andrara eingerichteten Route. Simon, der zu dieser Zeit verletzt war, unterstützte sie während ihres einmonatigen Projektierens, lieh sich über den gesamten März für jeden Klettertag ein anderes Auto von einem anderen Cousin, weil ihr eigener Bus zu dieser Zeit kaputt war. Simon fuhr Ana jedes Mal zwei Stunden von Madrid nach Cuenca, sicherte sie, munterte auf, half bei der Beta, brachte seine erschöpfte Freundin am Abend wieder zurück nach Madrid und lieferte das geliehene Auto ab. Einmal fuhren sie die ganze Strecke umsonst, da der Wetterbericht falschlag und die Bedingungen zu schlecht zum Klettern waren. Auch wenn sich noch so viele Hindernisse in den Weg stellten, Aufgeben war keine Option. Noch heute strahlen die beiden voller Freude und Motivation, wenn sie an diesen gemeinsamen Prozess zurückdenken.

Motivation spielt eine große Rolle in ihrem Leben. Simon hat seit seiner Jugend ein Mantra: EAM – escalar a muerte. Sinngemäß heißt das so viel wie „Gib alles!“ oder „Hau rein!“ Für Simon bedeutet es, nicht nur in einer Route alles für sein Ziel zu geben, sondern auch wenn es um das Drumherum, das Leben im Allgemeinen geht. „Dieses Mantra begleitet mich schon sehr lange. Eine Zeit lang habe ich fast alles in EAM und Nicht-EAM eingeteilt. Wenn ich ein Wasser getrunken habe, war es EAM. So ein großes, fränkisches Kuchenstück wäre das Gegenteil von EAM gewesen,“ erzählt er fröhlich. „Ana hat die Try-Hard-Mentalität von Anfang an mit in unsere Beziehung gebracht. Sie schafft es immer, mich zu motivieren, ob es Projekte sind oder das Überwinden einer Verletzung.“

Auf ihrem Trip durchs Wiesent-, Trubach- und Pegnitztal ließen sich die beiden auf eine gute Mischung aus kleinen Projekten, großen Klassikern sowie genussreichen Touren ein. Dabei wandelten sie auf den Spuren von Kurt Albert und kletterten unter anderem Sautanz (7b+ | 9-) sowie die fotogene Supernase (8) in Gößweinstein. Ana holte sich eine Flashbegehung der Wolfgang-Güllich-Route Slimline (8a+ | 10-) und brauchte auch bei den sommerlich-heißen Temperaturen nur zwei Tage, um Roof Warrior (8c | 10+/11- ) zu punkten. Simon hatte in Jerry Moffats Buch Revelations über dessen barfüßige Erstbegehung von Ekel - der ersten deutschen 9+ (7c+) - gelesen. Grundgenug nach Obertrubach zu fahren und den Dachklassiker zu machen.

„Für uns ging es nicht darum, möglichst schwer zu klettern und einen bestimmten Grad oder eine spezielle Route zu projektieren. Wir wollten auf den Spuren unserer Idole wandeln, die Gegend und die kulturellen Besonderheiten kennenlernen“, erzählt Simon und Ana ergänzt: „Es war so cool, dass wir einige der Routen klettern konnten, die die Geschichte des Sportkletterns erzählen und über die wir zu Hause schon so viel gelesen haben. Dieser gemeinsame Trip war etwas ganz Besonderes für uns beide und eines ist klar – wir kommen wieder, vielleicht schon bald!“